So fand sich dann am 12. November 07 der gesamte Jahrgang 13 ein, um dem Bericht eines Mannes zu lauschen, der in der bedrückenden Atmosphäre der Depression im Amerika der Zwanziger aufwuchs, mit elf Jahren Hitlers „Mein Kampf“ las und der mit 19 Jahren in Deutschland kämpfte. Heute lebt er hier, in Wiesbaden.
Herr Strasburg fängt ganz am Anfang an. Er erzählt von Cleveland, Ohio, der Stadt, in der er 1925 geboren wurde und wo die Leute vom Ersten Weltkrieg glaubten, er sei der letzte Krieg der Menschheitsgeschichte gewesen: „A war to end all wars“. So dachte auch der junge Dudley. Schließlich wurden er und die ganze Welt vom Gegenteil überzeugt, und Dudley verspürte den Wunsch, etwas gegen die Verbrechen Hitlers zu tun. Er schrieb sich in die Army ein, sobald er 18 war und kam Ende 1944 als Soldat auf der „Queen Mary“ nach Europa. „We had a job to do“ beschreibt er die Mission der amerikanischen Soldaten. Er habe nicht ans Töten gedacht, sagt Strasburg, sondern nur daran, die Nazis und das verbündete Japan zu bekämpfen. Wir glauben ihm aufs Wort, zu authentisch klingen seine Ausführungen. Keine Spur von Heldenmut oder Kriegsbegeisterung.
Es folgt die Schilderung der Monate Februar bis April 1945, die Dudley mit seiner Kompanie im Saargebiet verbrachte, wo sie die deutschen Linien in Schach halten und schließlich durchbrechen sollten. Der 19jährige Dudley erlebt, wie binnen eines einzigen Tages von den 175 Männern seiner Kompanie noch 12 Mann, einschließlich ihm selbst übrig bleiben. Er muss einen deutschen Soldaten, der mit Handgranaten bepackt ist, von Angesicht zu Angesicht erschießen. Er findet den besten Freund erschossen in einem Erdloch, und die ganze Zeit fragte er sich: „Warum lebe ICH noch?“ Eine Frage, die er sich noch heute stellt. Hier erleben wir den alten Herrn ganz nachdenklich. Wir sind tief beeindruckt von seiner Art zu erzählen: So Großes, Schreckliches, Unbegreifliches wird mit so ruhigen Gesten, so gewählten Worten erzählt. Ab und an fragt er, ob wir alles verstehen, da er Englisch spricht, oder er erkundigt sich nach einem deutschen Wort. Vor unserem geistigen Auge steigen Bilder von verlassenen Höfen auf, von Wäldern, in denen die Soldaten auf dem Boden kauern, von Toten und Verletzten, und die Nähe der deutschen Soldaten bedrückt unser Herz- so hautnah erscheinen auf einmal die Geschehnisse. Wir reisen mit Herrn Strasburg in die Zeit seines Einsatzes zurück, wähnen uns in seiner Haut, bepackt mit dem schweren Feldradio und sieben Lagen Kleidung. Spüren die Überraschung, nicht tot zu sein angesichts eines Bauchschusses (eine Fleischdose in der Jackentasche hatte die Kugel abgefangen).
Dudley Strasburg schildert auch sein Entsetzen über die deutsche Kriegsführung, als er sah, wie ein deutscher Offizier immer mehr Soldaten in das Gewehrfeuer der feindlichen Truppen trieb, ohne Rücksicht auf Verluste. Zumal die Soldaten oft junge Burschen von 16, 17 Jahren waren.
Im April 1945 war Strasburg dann in Solingen, das die amerikanischen Truppen besetzten. Hier entdeckte er mit Hilfe eines Deutschen ein Massengrab, wo die Nazis 71 ermordete politische Gegner verscharrt hatten. Die Lichtung im Wald ist heute eine Gedenkstätte.
Wir dachten immer, alles über unser Land zu wissen, zumal der Zweite Weltkrieg ausführlich im Geschichtsunterricht besprochen wurde, andauernd Dokumentationen darüber im Fernsehen laufen und man eigentlich des Themas fast schon überdrüssig wird. Aber die Begegnung mit Dudley Strasburg hat uns erst ein wirkliches Bild von der Zeit damals vermittelt.
Er hat uns nicht isolierte Fakten präsentiert, sondern die Geschichte seines Lebens.
- Geschrieben von:
- Evangelia Karakoliou
- Geschrieben am:
- Kategorien:
- Gesellschaftswissenschaften Geschichte Projekte & Veranstaltungen