Um mit mir zu beginnen: In der Arbeit als Spielleiter sehe ich mich zumeist als Moderator. Ein Moderator, der Begegnungen ermöglicht. Es geht um das Abenteuer Theater. Theater als Begegnungsprojekt, als unerwarteter Diskurs. Ein häufig risikoreicher Dialog, dessen Verlauf und Ausgang oft nicht gewiss ist. Dabei aber immer live. Kooperationsfähigkeit gilt als bedeutsame Kompetenz im sozialen Bereich. Sie wird zur besonderen Kategorie wenn junge Menschen in einer Spanne von bis zu zehn Jahren Altersdifferenz miteinander arbeiten wollen. Hierzu lade ich die Schülerinnen und Schüler unserer Schule ein. In einen seltenen, ungewöhnlichen Raum, dessen Offenheit Gemeinsames entstehen lassen kann. Offen sein, dazu bereit sein, sich immer wieder einzulassen und im gemeinsamen Spiel, in der gemeinsamen Arbeit nach einem Wesentlichen zu suchen, dies erschließt verbindlich Ziele. Gemeinsam, von den Jüngsten der Klasse 5 bis hin zu den jungen Erwachsenen, den Abiturienten, die häufig schon seit vielen Jahren dabei sind, entsteht unser Theater.
Im Umgang mit anderen aufmerksam werden, bedeutet Sensibilität für die Mitspielerin oder den Mitspieler neben sich zu entwickeln. Man spielt mit- aber auch gegeneinander. Klatscht und stampft, schreit oder flüstert, hört, beobachtet, schlägt oder umfängt. Im direkten sozialen Bezug entsteht gerade eine diskutierbare Selbstbeobachtung, ein oft unerwartetes Selbstbild, ein anderes Bewusstsein des eigenen Selbst. So verstehe ich den Begriff als das entstehende Gesamtbild der Beziehungen zu den anderen jungen Mitspielern, gefunden im stetigen Miteinander der Proben, im kooperativen Zusammenspiel von Übungen, Improvisationen und Szenen. Selbstbewusstsein als ein gefundenes Selbst in der Gruppe.
Tatsächlich schenken die Proben und Auftritte ein immer wieder anderes, vielfältiges Spektrum der Auseinandersetzung, ein freies Feld der Orientierung, des Suchens und Probierens. Als erfahrbares Abenteuer, mit der Möglichkeit des Reüssierens oder des Scheiterns. Im Spiel.
Ein Moderator, der theatrale Begegnungen ermöglichen will, führt zur Begegnung mit Texten des Theaters. Er führt zu Themen und Inhalten oder lässt deren Entstehung zu. Nicht zwangsläufig meint dies eine enge Textorientierung – oft ganz im Gegenteil. Die Spielerinnen und Spieler lernen Mittel des Theaters kennen. Und suchen in Ernsthaftigkeit und in glaubwürdigem Zugriff sich selbst Zusammenhänge greifbar zu machen, um dann, viel später, im darstellenden Spiel auf die äußere Realität verweisen zu können. Ein eigener Bezug der Mitspielenden zur Figur, zur Handlung und zur Form wird dort auch für den Zuschauer sichtbar : Erkennbar an der Lebendigkeit des Spiels. Gültigkeit gewinnt Schultheater dann, wenn der Anteil des Eigenen in der Auseinandersetzung mit dem Stoff erkennbar wird. Wahrnehmbar wird die Identität der jungen Darsteller, nicht allein die Figur. Wir begegnen der Echtheit, der Glaubwürdigkeit junger Persönlichkeiten und nehmen Teil an einer je individuellen Auseinandersetzung mit Figuren und Handlungen. Aber erst wollen nötige Reibungsflächen überwunden werden, gegebene Erprobungsfelder genutzt sein. Zeigen uns also Spielaktionen des Schultheaters etwas, das wir als echt empfinden können, ist die Balance zwischen dem Theater selbst und der pädagogischen Arbeit gelungen. Im Zweifel kann das auch bedeuten, „Hoppla“, Talente sind zu entdecken und, wer wollte das vergessen, mit Engagement zu fördern.
Unser Stil ist sicher visuell, choreographisch und sucht den individuellen Ausdruck. Mehr ist hier nicht zu sagen. Wie schwer es ist, den eigenen Ausgangspunkt für sich selbst zu definieren, das weiß der Leser. Methodisch jedoch ist die Mitgestaltung der theatralen Arbeitssituation und aller Lernvorgänge durch die teilnehmenden Schüler hier in einer besonderen Weise möglich. Auch dies bestimmt unseren Stil. Dem Experiment zugeneigt und offenen Ohres für die Ideen der Spieler.
Schultheater gestaltet und vermittelt sich als Theater. Es ist Theater. Auch wenn das Verhältnis der Zuschauer zu den Darstellern oft ein äußerst enges oder familiäres ist. Schultheater ist immer das Theater von Kindern und Jugendlichen. Es DSC_1113ermöglicht Identifikation und Austausch, nimmt alle Beteiligten ernst, ist ein Spiel mit häufig eigenen Regeln und ästhetischen Absichten. Schultheater ist pädagogische Arbeit, ist Experimentierfeld, sucht aber stets eine Form. Schultheater darf eigenwillig sein, muss vielleicht anders, manchmal auch verstörend sein. Schultheater ist Risiko, immer farbig und dem Leben nahe. Theaterspielen in der Schule, das ist ästhetische Bildung, künstlerisches Arbeiten und Selbsterfahrung. Unsere gemeinsame Arbeit sucht Grenzen und deren Erweiterung, nimmt Anteil an Lebenswegen und Entwicklungen. Über die Welt des Alltäglichen hinaus, sucht unser Theaterspiel einen Zustand den ich Begeisterung nennen möchte.
Ulrich Poessnecker