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Daher schien das, was wir in den vier Schulstunden zu hören und sehen bekamen, zunächst mehr einem Krimi zu gleichen, als der authentischen Lebensgeschichte einer in der DDR aufgewachsenen Schauspielerin, Regisseurin und Buchautorin. Zunächst wurde uns Freya Klier von Frau Manig, der Geschichts-LK-Lehrerin des Jahrgangs 13, vorgestellt. Anschließend wurden wir noch dazu angehalten, bei Bedarf Zwischenfragen zu stellen. Mit ihrer Geschichte begann Freya Klier in der Mitte der sechziger Jahre und der Beschreibung des damals herrschenden Regimes und den Verhältnissen in Ostdeutschland. Schon hier konnte man erstaunte Gesichter sehen, als Frau Klier von den ständigen Polizeikontrollen und den strengen Regeln berichtete, die doch mehr an NS-Methoden erinnerten, als viele sich bis dahin vorgestellt hatten. Die Brutalität, mit der die Staatsgewalt gegen Menschen vorging, die lediglich westliche Songtexte oder Aufnäher tauschten, machte Frau Klier an dem Beispiel ihres Bruders deutlich, der für ein solches „Vergehen“ mit mehreren Jahren Haft bestraft wurde, was nicht nur das seinige, sondern auch das Leben von Freya Klier maßgeblich veränderte. Diese Verhaftung war die Initialzündung für den spektakulären, jedoch fehlgeschlagenen Fluchtversuch Frau Kliers im Jahr 1968. Bevor sie jedoch davon erzählte, wurde uns ein Dokumentarfilm von Freya Klier über die Flucht einer Gruppe befreundeter, ostdeutscher Schüler über den Moskau-Paris-Express nach Westberlin gezeigt.
Nach einer kurzen Pause beschrieb Frau Klier nun, wie sie mithilfe einer Gruppe befreundeter Schweden aus dem Osten fliehen wollte. Diese ließen ihr einen gefälschten schwedischen Ausweis anfertigen und wollten ihr die Flucht über ein schwedisches Schiff ermöglichen, dessen Mannschaft darauf vorbereitet war. Das Fehlschlagen des Fluchtversuches zeigt gleichzeitig wieder, dass StaSi-Agenten wirklich bis in die letzten Bereiche vorgedrungen waren und ein System der absoluten Kontrolle herrschte. Denn damit, dass fast alle Besucher und Angestellte einer Bar am Rostocker Freihafen aus Staatsspionen waren, konnten die schwedischen Matrosen nicht rechnen und liefen der geschickten Taktik der Agenten ins Netz.
Nachdem Frau Klier eine ungewöhnlich „kurze“ Haftzeit von 16 Monaten abgesessen hatte, wurde es ihr ermöglicht, ihr Studium zu beenden und als Regisseurin zu arbeiten. Um die drastischen Erlebnisse besser zu verdeutlichen, las Frau Klier anschließend aus ihrem Buch „Abrisskalender“ vor. Die dort geschilderten Ereignisse, wie das Berufsverbot von Frau Klier und ihrem Mann, die „regierungsfeindlichen“ Aufführungen von dem Paar Klier-Krawczyk in evangelischen Kirchen, des StaSi-Terrors durch ständige Überwachung auf den Wegen zu den Gemeinden, die in ernsthaften Mordanschlägen durch zerschnittene Bremsschläuche und Nervengift auf Frau Kliers Lenkrad ihren Höhepunkt fanden, versetzten dann alle Schüler in entsetztes Staunen. So werden die DDR und ihre Regierung selbst in nicht-ostalgischen Filmen nicht gezeigt.
Auch erfuhren wir von der Bespitzelung durch über 20 Wanzen in der Wohnung des Paares und über insgesamt 80 StaSi-Mitarbeiter in Frau Kliers Umfeld, von denen einige sehr enge Freunde gewesen waren, was dem Film „Das Leben der Anderen“, der einige Schulstunden zuvor gezeigt wurde, eine viel schärfere Kontur und Authentizität verlieh. Der oskarprämierte Film war durch die Erzählungen eines Regimeopfers plötzlich erschreckende Realität geworden.
Dass durch die Verhaftung des Paares Klier- Krawczyk auch das gemeinsame Kind unter dem SED-Terror leiden musste, indem es in ein Heim zwangseingewiesen wurde, verdeutlichte noch einmal den Druck, unter dem die Bürger der DDR litten. Sogar der Anwalt, der dem Ehepaar zugewiesen wurde, war ein SED-Spitzel, der Informationen über geheimes Material aus dem Ehepaar herausholen sollte. Ebenso erfuhr Frau Klier nach der Wiedervereinigung und bei Einsicht ihrer StaSi-Akte, dass sogar eine sehr gute Freundin, die abends auf ihr Kind aufgepasst hatte eine Agentin war und in Abwesenheit des Ehepaares freien Zugang zur kompletten Privatsphäre der Menschen hatte, die ihr sogar ihr Kind anvertraut hatten. In ihrem Schlussplädoyer betonte Freya Klier, dass die Demokratie von uns nicht als selbstverständlich hinzunehmen sei und wir uns vor antidemokratischen Gruppierungen, egal ob von rechts oder links, in acht nehmen sollen, ließ uns alle die DDR und unseren eigenen Staat in einem anderen Licht sehen.
In den anschließenden Fragen wurde vor allem der Bewunderung vieler Schüler gegenüber Frau Kliers Mut, sich in vollem Bewusstsein der Konsequenzen gegen ein unterdrückendes System zu stellen, Ausdruck verliehen. Des weiteren wurde uns in den ausführlichen Antworten Frau Kliers auch erzählt, dass ihr Bruder letzten Endes sogar an den Methoden des DDR-Regimes starb.
Rückblickend kann also gesagt werden, dass dieses Zeitzeugengespräch die DDR und deren Regime in ein sehr viel ernsthafteres und dunkleres Licht gerückt hat und wir in Zukunft bei der Erwähnung dieses Staates weniger an ein etwas beengtes, aber gemütliches Leben unter einer schrullig-unfähigen Regierung, sondern an einen Staat denken, der mit terroristischen Methoden und einer mörderischen Rücksichtslosigkeit seine Bürger unterdrückte und terrorisierte.
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- Evangelia Karakoliou
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